Zahlensalat oder Propaganda - ein „Wolfsexperte“ tobt sich aus
Der Wolfsbestand in Deutschland ist ein Zankapfel. Wann immer die offiziellen Zahlen des Bundeamtes für Naturschutz angezweifelt werden oder auch nur der Versuch gemacht wird, sie der Realität gegenüberzustellen, gibt es massiven Widerstand. Der Chor der Eiferer reicht von den Vereinen, die mit dem Schutz von Wölfen ihre Spendengelder verdienen über das BfN selbst bis zum diensthabenden „Wolfsexperten“ in den bayerischen Bergen. Wer welche Rechnung für plausibel hält, hängt eher vom rechten Glauben ab als von Realitätssinn und Beherrschung der Grundrechenarten. Wenn sich dann noch der öffentlich rechtliche Rundfunk mit einem schmal recherchierten Beitrag einbringt, entsteht bei kritischen Beobachtern der Eindruck gezielter Propaganda. Die Älteren unter uns fühlen sich an die Zeit vor 1990 erinnert, als im Osten Deutschlands ADN und Neues Deutschland die Lufthoheit der Information für sich beanspruchten.
Sicher gab und gibt es im Streit um den Wolfsbestand viele Zahlen und Gerüchte, die jeder Grundlage entbehren. Die berühmten 1.000 Wölfe geisterten auch schon vor 5 Jahren durch das Land. Aktuell reagiert der diensthabende Wolfsexperte darauf mit schwerer Empörung und einem wenig plausiblen Rechenexempel. Will man diesen Zahlen auf den Grund gehen, bedarf es einer verlässlichen Quelle und des Verständnisses, wann und wie diese Zahlen für welchen Zeitraum ermittelt werden.
Über allem steht immer die Erkenntnis, dass man Wildtiere nicht zählen kann. Dies gilt für den Wolf aufgrund seiner Lebensweise in besonderem Maße.
Eine verlässliche Quelle haben wir mit der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf (DBBW) seit zwei Jahren. Nicht immer sehr aktuell, weil vom Informationswillen der Bundesländer abhängig, aber dort angebotene Zahlen sind eine gute Grundlage, nicht nur die Vergangenheit betreffend, sondern auch um daraus auf die zukünftige Entwicklung des Bestandes zu schließen.
Will man aus diesen Zahlen, wie auch aus denen des BfN Schlüsse für die Gegenwart ziehen, ist immer zu beachten, dass das Monitoringjahr für den Wolf vom 01.05. bis zum 30.04. festgelegt ist, d.h. immer die Daten des vorangegangen Kalenderjahres wiedergegeben werden. Die im November 2017 publizierten Zahlen für 2016/17 geben also den Sommer-/Herbstbestand des Jahres 2016 wieder.
Diese Zahlen werden der Öffentlichkeit auch noch im Sommer 2018 als aktuell angeboten, obwohl inzwischen die übernächste Generation Wolfswelpen vor den Wurfhöhlen spielt. Bei einer nachgewiesenen Zuwachsrate der Wolfspopulation von jährlich 30 - 35 % bietet sich hier reichlich Spielraum für Streit und Spekulationen. Der nächste Streitpunkt liegt darin, dass streng nach Regeln des Artenschutzes ausschließlich adulte Tiere gezählt werden, die auch in diesem Monitoringjahr bis zum 30.04. nachgewiesen wurden. Der Zuwachs der drei vorangegangenen Jahr fällt, sofern er sich nicht irgendwo angesiedelt hat und nachgewiesen wurde, unter den Tisch. Für die Jahre 2014 (134), 2015 (175) und 2016 (218) sind das 527 Wölfe von denen der Jahrgang 2014 die potentiellen Rudelgründer des Monitoringjahres 2016/17 stellt. Dies spiegelt sich auch in der großen Zahl von 27 „Suchräumen“ wider, die in verschiedenen Monitoringberichten der Länder verzeichnet und kartiert sind. Dort gibt es konkrete Hinweise auf den Wolf, ohne dass in dem Zeitraum die erforderlichen Nachweise für territoriale Exemplare erbracht wurden. Sicher ist, dass nicht all diese Suchräume dauerhaft von Wölfen besiedelt werden. Ebenso sicher ist, dass es mindestens in gleicher Zahl Territorien gibt, in denen die Anwesenheit des Wolfes noch nicht erkannt oder gemeldet wurde.
Nimmt man die allgemein anerkannten Zahlen der DBBW aus der Vergangenheit zusammen und addiert diese zu einem Wolfsbestand für den Sommer 2017 oder 2018 auf, so ergibt sich folgendes Bild:
Die weiß unterlegten Felder geben die offiziellen Zahlen der DBBW wieder. Die grau unterlegten Felder sind addiert bzw. für die Monitoringjahre 2017/18 und 2018/19 rechnerisch ermittelt. Grundlage sind ausschließlich nachgewiesene Individuen, d.h. es handelt sich hierbei um absolute Mindestzahlen. Mangels Datenmaterial können die Mortalität, Zu- und Abwanderung sowie die Dunkelziffer nicht nachgewiesener Wölfe als mit Sicherheit größter Faktor nicht eingerechnet werden. Für Spekulationen und vage Annahmen ist hier kein Platz.
Der vorliegende Versuch des Wolfsexperten, anerkannte Monitoringergebnisse anhand eines Bündels von Annahmen herunterrechnen zu wollen, macht keinen Sinn und ist einer Diskussion bestenfalls bei der eigenen Klientel dienlich. Wer mit den Bestandszahlen aus dem Monitoring umgeht, sollte wenigstens wissen, wann sich Wölfe vermehren und dabei erkennen, dass es sich bei den Ergebnissen eines Monitoringjahres um den Herbstbestand des ersten Jahres handelt, sonst beginnt man bereits mit einer Fehlerquote von ca. 33 %. Klammert man dann noch das Segment der zweijährigen Wanderwölfe und territorialen Paare ohne nachgewiesene Reproduktion aus, wird sich die Fehlerquote um schlichte 25 % erhöhen. Auf diese Weise heruntergerechnet erreicht der Versuch annähernd die Zahlen aus der Quelle DBBW von 2016 - nur eben für 2018. Die Fehlerquote liegt bei 644 gegenüber 1.166 Wölfen, für dieses Jahr immerhin bei 81 % - der an anderer Stelle zitierte Bauernschuh ist kein guter Rechenschieber, um im Vokabular des Wolfsexperten zu bleiben.
Prädikat: Kein zielführender Versuch, der bestenfalls das Wohlwollen des Bundesamtes für Naturschutz hervorrufen wird!